Martin Klaemmt

* 10 November 1946 † 18. November 2014

Portrait-Foto von Martin Klaemmt

Traueranzeige Martin Klaemmt

Beerdigungsansprache – Ps. 31, 16; Pred. 3, 1-13

Pfarrerin Ulrike Heimann in der Mutterhauskirche der Kaiserswerther Diakonie am 25.11.2014.

Meine Zeit steht in deinen Händen.
Ps. 31, 16

Liebe Anne, lieber Thomas, liebe Angehörige und Freunde des Verstorbenen, liebe Kaiserswerther Trauergemeinde!

Kein halbes Jahr ist vergangen seit der bösen Diagnose Blasentumor. Und auch, wenn ihn die Zeit des Wartens auf den Operationstermin schon sehr mitgenommen, ihm buchstäblich jeden Appetit verschlagen hat, so hatte sich Dein lieber Mann und Vater, Ihr Bruder und unser Freund letztlich doch soweit mit der Erkrankung arrangiert, dass er sich nach der gut verlaufenen OP der Reha in Wuppertal unterzog, motiviert von der Aussicht, vielleicht doch nach Weihnachten mit der erweiterten Familie den traditionellen Sylvesterurlaub auf Texel verbringen zu können. Doch nach der Reha ging es Martin zusehends schlechter. Die Beweglichkeit nahm rapide ab und dann kamen die Schmerzen. Der Krebs meldete sich mit Macht zurück. Nach ausgiebiger und ehrlicher Beratung durch die behandelnden Ärzte, und nach intensivem Austausch miteinander hat er dann ganz klar für sich entschieden: Keine Chemo mehr, nur noch palliative Versorgung. Ich erinnere mich noch gut an das Gespräch, das ich mit ihm in dieser Phase in der Klinik in Golzheim hatte; darin verwies er mich an jenen Vers, der auch auf der Sterbeanzeige steht: Meine Zeit steht in deinen Händen.Ps. 31, 16. Ein Wort, das ihn seit Jahrzehnten begleitet hat, ihm immer wieder Zuversicht und Gelassenheit vermittelt hat. Auch in dieser schweren Entscheidungssituation. Wie viel Zeit ihm noch verbleiben würde auf dieser Erde, das wusste ja keiner; aber entscheidend war für Martin nicht die Dauer, sondern das Bewusstsein, dass es Zeit in Gottes Händen sein würde. Nach seinem Entschluss, keine Chemo mehr, war es sein dringender Wunsch, auf die Palliativstation ins FNK gebracht zu werden. Das gelang am 10.November, seinem 68.Geburtstag. Als ich am Nachmittag auf die Station kam, fand ich einen ganz entspannten Martin vor. Er war nach Hause gekommen, wie er es selbst äußerte. Zusammen mit euch beiden, liebe Anne, lieber Thomas, ließ er sich den Geburtstagskuchen schmecken. In den nächsten drei Tagen schauten viele liebe Menschen vorbei, Weggefährten, Freunde, er genoss die Besuche, die Unterhaltungen. Die Schmerzen gingen zwar nicht weg, aber die Ärzte und Pflegenden hatten sie ganz gut im Griff. Doch am Freitag Nachmittag vorletzter Woche verschlechterte sich sein Zustand rasant. Seit Samstag war er dann nicht mehr ansprechbar. 8 Tage nach seinem Eintreffen auf der Palliativstation ist er ganz still heimgegangen. Ist er endgültig nach Hause gekommen. Bei der Schwere der Erkrankung ein gnädiges Sterben, wie wir es ihm nur wünschen konnten.

Meine Zeit steht in deinen Händen.
Ps. 31, 16

Dass Martin nur 68 Jahre Zeit auf dieser Erde vergönnt waren, das ist schon bitter. Ihr beiden, Anne, hättet gerne noch euren gemeinsamen Ruhestand genossen, die eine oder andere Reise gemacht und vor allen Dingen Eure Goldene Hochzeit gefeiert, die in gut 5 Jahren angestanden hätte. Das goldene Jubiläum Eurer Liebe hattet ihr ja bereits letztes Jahr begehen können. Ja, es sind 68 erfüllte Jahre gewesen, die Martin auf dieser Erde geschenkt worden sind. Erfüllte Jahre voller Leben, mit guten und belastenden Erfahrungen, sehr wechselhafte Zeiten, eben so wie es der Prediger beschreibt:

Alles, was auf der Erde geschieht,
hat seine von Gott bestimmte Zeit:
geboren werden und sterben,
einpflanzen und ausreißen, …
niederreißen und aufbauen,
weinen und lachen,
wehklagen und tanzen …

Pred. 3, 2-4

Martin hat zwar selbst nichts festgesetzt für seine Trauerfeier, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass dieser Text aus dem Prediger ihm sehr gefallen hätte. Ganz nüchtern und realistisch und trotzdem durchwoben vom Vertrauen in Gott. Fromme Worte, vollmundige Bekenntnisse, die lösten bei Martin nämlich schnell Unbehagen aus. Wahrscheinlich auch deshalb, weil er davon in Kindheit und Jugendzeit von zu Hause her zu viel gehört hat.

Geboren ist er in Wuppertal, genauer in Wichlinghausen und dort mit seiner 8 Jahre älteren Schwester aufgewachsen. Das elterliche Haus hatte den Krieg unbeschadet überstanden. Neben der Schule lernte er das Geigenspiel, genauso wie das Klavierspielen und als echter CVJM’ler natürlich auch Posaune. Der CVJM war seine religiöse Heimat und er engagierte sich nach der Konfirmation in der Kinder- und Jugendarbeit. Für ihn stand damals fest: ich werde Missionar. Selbst als er 1963 Dich, liebe Anne, kennen und lieben lernte – ihr besuchtet damals dieselbe 11. Klasse des örtlichen Aufbaugymnasiums – war er ganz davon erfüllt, über die VEM nach Namibia zu gehen. So begann er nach dem Abitur mit dem Theologiestudium im Missionshaus in Wuppertal und wechselte anschließend nach Göttingen. Es waren Ende der 60er Jahre unruhige Zeiten, die in manchen Biographien Brüche verursachten. Auch bei Martin. Er überlegte ernsthaft, das Theologiestudium an den Nagel zu hängen und stattdessen Sozialarbeit zu studieren. Auf jeden Fall wechselte er noch einmal den Studienort und belegte in Münster Vorlesungen im Fachbereich Publizistik. Es war wohl das väterliche Erbe, dieser besondere Bezug zum geschriebenen und gedruckten Wort, das ihn mehr und mehr erfüllte. Sorgfältig zu formulieren, das lag ihm – viel mehr als die spontane Rede. In die Mission zu gehen, davon war er längst abgerückt; aber er schloss zumindest das Theologiestudium mit dem 1.Theologischen Examen ab – 1971, ein Jahr nach Eurer Hochzeit. Danach suchte er sich Arbeit auf dem journalistischen Feld, kam als Lokalredakteur bei der WZ unter, bis er 1973 den Hinweis bekam, das Diakoniewerk Kaiserswerth suche einen Menschen für die Öffentlichkeitsarbeit. Es sollte seine Lebensaufgabe werden. Der Theologische Vorstand Pfr. Dr. Schlingensiepen ermunterte ihn dazu, doch auch noch im Werk neben seinen journalistischen Aufgaben das Vikariat zu machen und das 2.Theologische Examen abzulegen. 1976 wurde Martin in der Stammhauskirche ordiniert. Dieser Kirche fühlte er sich in den kommenden Jahrzehnten immer sehr verbunden, hat dort gerne Gottesdienste gehalten. Er war eingebunden in den Theologenkonvent der Kaiserswerther Diakonie, der sich wöchentlich traf, nicht nur, um Termine abzusprechen, sondern auch, um sich theologisch auszutauschen über den Predigttext des kommenden Sonntags und um Anteil zu haben an den verschiedenen Entwicklungen in den Arbeitsbereichen des Werkes. Martin fühlte sich der Diakonie verbunden, ja, sie half ihm, einen neuen Zugang auch zur Theologie zu finden. Kaiserswerth mit seiner Schwesternschaft und den zivilen Mitarbeitenden – das war eine große Familie, und Martin gehörte mit Anne einfach dazu. Inzwischen hatte er mit seiner Frau eine Wohnung im neuerbauten Mitarbeiterhaus in der Kreuzbergstraße bezogen, die bald nach dem Einzug ein Kinderzimmer brauchte – für Thomas.

Es waren nicht nur familiär spannende und schöne Jahre. Auch beruflich galt es, vieles auszuprobieren und weiterzuentwickeln. Im neuen FNK wurde im Keller ein ziemlich professioneller Senderaum eingerichtet und Martin begann als Intendant und Redakteur der „Kellerwelle“ einmal wöchentlich ein Radioprogramm für die Patienten anzubieten – unterstützt von Mitarbeitenden wie Herrn Wittenberg und Herrn Straßmann. Zu dem Programm gehörten Redaktionssendungen genauso wie Interviews oder ein musikalisches "Wünsch-Dir-Was", es ging um Fragen der Gesundheit wie um Fragen des Glaubens, der Diakonie. Da Martin auch lange Jahre in den Ethikunterricht der Kinderkrankenpflegeschule eingebunden war, wurde mit einigen Klassen auch schon mal "Kinderfunk" gemacht, eine vergnügliche und interessante Angelegenheit nicht nur für die jungen Zuhörerinnen und Zuhörer.

Als Leiter der Öffentlichkeitsarbeit war Martin verantwortlich für die verschiedenen Printmedien des Werkes – den monatlich erscheinenden Brief, die Kaiserswerther Mitteilungen und für den Kalender. Die Erstellung des letzteren war jedes Mal ein echter Kraftakt, nicht nur, weil Martin immer etwas Besonderes im Sinn hatte und verschiedene Künstler oder Autoren einbezogen wurden, sondern auch weil es nicht unbedingt zu seinen Stärken gehörte, vorausschauend mit der Zeit umzugehen. Bei unserem Gespräch, liebe Anne, erinnerteste Du Dich daran, dass diese Kalender Jahr für Jahr Euren Sommerurlaub begleitet haben. Vom Ergebnis her kann man aber nur sagen: es war nicht umsonst gewesen.

Seine guten Kontakte in die Presselandschaft nutzte Martin für die Kaiserswerther Diakonie. Mit Kollegen der kirchlichen und diakonischen Einrichtungen rund um Düsseldorf gründete er EPDü (Ev.Presse Düsseldorf), ein Netzwerk, um sich gegenseitig zu informieren und Termine gut abzusprechen und so gemeinsam überzeugender in der Öffentlichkeit aufzutreten. Der Vernetzung diente auch seine Mitgliedschaft im Heimat- und Bürgerverein. Oft war er auch unterwegs in der Region, um – manchmal unterstützt von Diakonissen – in Gemeinden die Kaiserswerther Diakonie bekannt zu machen und darüber hinaus Spenden einzuwerben. Und selbstverständlich tauchte er auch immer wieder im Predigtplan der damaligen Werks- bzw. Anstaltskirchengemeinde auf; be-sonders gerne hielt er Gottesdienste in Salem und in der Stammhauskirche.

Er war ein gerne gehörter Verkündiger des Evangeliums, dem es immer wichtig war, Gegenwart und Alltag mit der biblischen Botschaft ins Gespräch zu bringen, gerade auch den Alltag und die Erfahrungen der Mitarbeitenden im Diakoniewerk.

Alles hat seine von Gott bestimmte Zeit:
niederreißen und aufbauen,
Steine werfen und Steine aufsammeln,
aufbewahren und wegwerfen …

nach Pred 3. 1-5

Dass sich das Gesicht des Diakoniewerkes seit seinem Dienstbeginn 1973 rasant veränderte, das hat er – wie ja alle Mitarbeitenden – deutlich mitbekommen. Was ihm viel mehr zu schaffen machte, war, dass sich auch das Herz des Werkes veränderte, dass der Zusammenhalt schwand, das vertrauensvolle Miteinander sich immer mehr in Zuständigkeiten auflöste. Das Wegwerfen und Niederreißen war viel präsenter als ein Aufbauen und Aufbewahren. Erinnert sei hier an das Mitarbeiterzentrum im Katharina Göbel Stift, das von den Stöffler-Schwestern eingerichtet worden war, ein beliebter Treffpunkt auch in der Freizeit, und an die Paramentik, deren öffentlichkeitswirksame Arbeit Martin sehr geschätzt hat und mit dessen künstlerischem Leiter Prof. Kurt Wolff ihn eine vertrauensvolle Zusammenarbeit verband.

Die Veränderungen im Werk, die häufigen Wechsel im Vorstand brachten es mit sich, dass die Öffentlichkeitsarbeit – heute Unternehmenskommunikation – neu aufgestellt wurde – auch mit neuen Mitarbeitenden. Für Martin hatte das die Folge, dass er etwa 2003 eine neue Tätigkeit übernahm: als Seelsorger im Altenzentrum Salem und im Feierabend der Schwesternschaft. Er hat diese Arbeit sehr gerne getan, entwickelte auch ein Interesse daran, theologische Einsichten in entsprechende liturgische Formen und Sprache zu übersetzen. Darüber haben wir uns immer wieder ausgetauscht. Es war eine erfüllte Zeit für Martin gewesen.

Dann kam das Jahr 2009. Es ging ihm gesundheitlich nicht gut. Untersuchungen förderten zu Tage, dass er an einer lebensbedrohlichen Verengung der Herzkranzgefäße litt. 5 Bypässe wurden im Mai desselben Jahres gelegt; den Tag der erfolgreichen OP feierte er seitdem als seinen 2.Geburtstag. Er war sich bewusst, dass jedes nun noch folgende Jahr ein besonderes Geschenk war – Gottes Geschenk an ihn. Und damit wollte er so verantwortlich wie möglich umgehen. So entschloss er sich, vorzeitig in den Ruhestand zu gehen. So sehr er vielen Menschen in seinem Arbeitsfeld verbunden war, so wenig wollte er sich doch dem stetig wachsenden Arbeitsdruck weiter aussetzen. Die Gesundheit ging vor. Ihr beide, liebe Anne, habt euch dann auf die Zeit gefreut, die ihr miteinander verbringen würdet, wenn auch Du in Deinen Ruhestand eintreten würdest. Doch irgendwie kam alles anders als erhofft. Da ihm das Gehen aus unerfindlichen Grün-den immer schwerer fiel, war Martin meistens mit dem Rad unterwegs, z.B. um an der Kegelrunde der Ehemaligen und Mitarbeitenden teilzunehmen. Das Unglück wollte es, dass er 2011 auf regennasser Straße mit dem Rad zu Fall kam und sich einen komplizierten Bruch der Schulter zuzog, der drei OP’s erforderlich machte, bis er endlich verheilte. Seitdem zog sich Martin immer mehr von allem zurück. Selbst sein Hobby, das Malen, reizte ihn nicht mehr. Auch das Schreiben stellte er ein. Aus dem Predigtdienst der Gemeinde hatte er sich auch verabschiedet. Als Du, liebe Anne, dann vor zwei Jahren in den Ruhestand gingst, konntest Du ihn auch nicht mehr groß motivieren und bewegen. Für größere Urlaubsreisen konnte er sich überhaupt nicht erwärmen. Besuche bei Dir, Thomas, in der Schweiz und dann der Sylves-terurlaub in Texel, das waren die Höhepunkte in diesen letzten beiden Jahren. In gewisser Weise ein schleichender Abschied aus dem Leben.

Alles hat seine Zeit:
sich umarmen
und sich aus der Umarmung lösen,
finden und verlieren,
schweigen und reden.

nach Pred. 3, 5-8

Gott hat für alles eine Zeit vorherbestimmt, zu der er es tut; und alles, was er tut, ist vollkommen. Dem Menschen hat er eine Ahnung von dem riesigen Ausmaß der Zeiträume gegeben, aber von dem, was Gott in dieser unvorstellbar langen Zeit tut, kann der einzelne Mensch nur einen winzigen Ausschnitt wahrnehmen.

Ich bin zu der Erkenntnis gekommen: Das Beste, was der Mensch tun kann, ist, sich zu freuen und sein Leben zu genießen, solange er es hat.
Wenn er aber zu essen und zu trinken hat und genießen kann, was er sich erarbeitet hat, dann verdankt er das der Güte Gottes.

Pred. 3, 12-13

Martin hat, so gut er es konnte, sein Leben genossen. Er war stets dankbar für die Liebe, mit der Du, liebe Anne, für ihn da warst. Dass seine Zeit, sein Leben in Gottes Händen stand, das war die Basis, aber sofort danach wusste er sich auch bei Dir bestens aufgehoben. Und wenn es darüber hinaus noch etwas zu organisieren gab, nicht nur was den PC anging, dann war da ja Thomas.

Hoffnungsbilder zu entwerfen, was er denn für sich über den Tod hinaus erwarte, dazu habe ich ihn nie locken können. Da war er ganz nüchtern und blieb bei diesem einen Satz Meine Zeit steht in Gottes Händen. Ps. 31, 16. Aber eben nicht nur die Zeit vor dem Tod, in dieser Welt, sondern auch im Sterben und danach, in der größeren Welt Gottes, die Zeit und Ewigkeit umfasst. In Gottes Händen ist und bleibt er gut aufgehoben und wir mit ihm.

Amen.