Anne Klaemmt

* 22 Mai 1947 † 14. Februar 2024

Portrait-Foto von Anne Klaemmt

Traueranzeige Anne Klaemmt

Beerdigungsansprache – Pred. 3, 1-15

Pfarrerin i.R. Ulrike Heimann in der Mutterhauskirche der Kaiserswerther Diakonie am 22.02.2024.

Alles hat seine Zeit.
Ein jegliches hat seine Zeit,
und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde

Pred. 3, 1

Lieber Thomas, liebe Angehörige und Freunde und Freundinnen der Verstorbenen, liebe Kaiserswerther Trauergemeinde!

Anfang Dezember war es, als mich Dein Anruf, lieber Thomas, erreichte, indem Du mir mitteiltest, dass Deine Mutter notfallmäßig ins FNK gebracht werden musste und es ihr wirklich gar nicht gut gehen würde. Die Diagnostik war da noch nicht abgeschlossen, aber die Ahnung, dass sie keine guten Prognosen ergeben würde, die stand von Anfang an im Raum. Du hattest Dich sofort auf den Weg nach Kaiserswerth gemacht und warst dann ganz für Deine Mutter da; das war für sie die entscheidende Hilfe, um mit der für sie so bedrohlichen Situation gut umgehen zu können. Als ich Anne Klaemmt dann auf der Intensivstation besuchte, lag da eine unglaublich starke Frau in ihrem Bett, die – trotz ihrer Ärztephobie – gefasst und gelassen über das, was die Untersuchungen ergeben hatten, sprach und darüber, dass sie für sich entschieden hatte, nichts mehr machen zu lassen, weder einen operativen Eingriff, noch eine Dialyse, die man ihr ärztlicherseits nahegelegt hatte, Behandlungen, die allenfalls einen kleinen Zeitgewinn gebracht hätten. Ich hatte ein schönes Leben, das sagte sie mir und war einfach bereit, zu gehen. Ich habe in meiner langen Berufszeit nur wenige Menschen in vergleichbarer Lage so getrost ins Sterben gehen sehen, getröstet und gehalten im Glauben an Gott. Wie es in dem Lied, das die Kantorei zu Beginn gesungen hat, formuliert wird:

Was ist der Tod, bist du mir Schild und Zier? Den Stachel nimmst du ihm: Herr, bleib bei mir!
EG 488,4

Du, Thomas, hast diese Entscheidung Deiner Mutter uneingeschränkt mitgetragen, das hat ihr die letzte Wegstrecke erleichtert, ihr die Ruhe und Gelassenheit gegeben, die sie bis zuletzt ausgestrahlt hat. Nachdem es auch den Ärzten klar geworden war, dass es ohne Umwege für Anne Klaemmt ans Sterben ging, wurde sie auf ihren Wunsch hin auf die Palliativstation verlegt, dorthin, wohin 9 Jahre zuvor ihr über alles geliebter Martin aus der Golzheimer Klinik verlegt worden war, der dort dann nach wenigen Tagen heimgegangen war. Anne Klaemmt erhoffte für sich einen ähnlich kurzen Aufenthalt, Weihnachten wollte sie schon mit Martin zusammen feiern.

Doch Weihnachten kam und es war nicht absehbar, wie lange sie noch leben würde. Zum Glück wurde dann ein Zimmer im Raphael-Hospiz frei und so zog sie zum Jahreswechsel noch einmal um. Sie fühlte sich dort von Anfang an gut aufgehoben, wurde liebevoll umsorgt und gepflegt, auch von Sr. Benedikta seelsorglich begleitet und von vielen lieben Menschen besucht. Sie, liebe Frau Manert-Heider, haben Ihrer Schwester zum letzten kulinarischen Genuss verholfen, als Sie ihr ein Mettbrötchen bei Ihrem letzten Besuch mitbrachten. Viel gegessen hat sie ansonsten in den letzten Wochen nicht, konnte es einfach nicht mehr.

Ein jegliches hat seine Zeit und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde.
Pred. 3, 1

Ein ganz nüchterner, klarer Satz, an dem sich Anne Klaemmt auf ihrem Kranken- und Sterbebett immer wieder orientiert hat, der ihr geholfen hat, einzuwilligen in das Schwinden ihrer Lebenskräfte. Voller Dankbarkeit hat sie zurückgeblickt und hatte auch noch Interesse an dem, was in der Welt so geschah, ohne sich von den Sorgen darüber noch einfangen zu lassen. Sie würde ihren Martin wiedersehen, das lag als verheißene Zeit vor ihr. Am Montag letzter Woche verschlechterte sich ihr Zustand dann rasant. Als Du, lieber Thomas, bei ihr eintrafst, konntest Du zum Glück noch ein paar Sätze mit ihr austauschen, bevor sie unter der notwendig gewordenen Sedierung immer weiter aus diesem Leben glitt. Sie wird aber gespürt haben, dass sie nicht allein war. In einem hat sie es genauso gemacht wie ihr geliebter Mann: den letzten Atemzug hat sie getan, als gerade keiner in ihrem Zimmer war. Bei der Schwere Ihrer Erkrankung ein gnädiges Sterben.

Wenn wir zurückblicken auf Anne Klaemmts Leben, dann gibt es da viel Grund zum Danken. 76 erfüllte Jahre sind es gewesen, die ihr auf dieser Erde geschenkt worden sind.

Am 22.5.1947 in Wuppertal geboren, wuchs sie dort zusammen mit ihrer jüngeren Schwester Christel in ihrem Elternhaus auf. Nach der Volksschule besuchte sie zunächst die Realschule – für ihre Eltern damals eine für ein Mädchen doch völlig ausreichende schulische Bildung. Nicht so für Anne. Nach der Konfirmation engagierte sie sich im Kindergottesdienst der Gemeinde und merkte, wie viel Freude ihr die Arbeit mit Kindern machte, ihnen etwas zu vermitteln, das ihnen im Leben helfen könnte. Der Wunsch, Lehrerin zu werden, war geboren. Und so setzte sie alle Hebel in Bewegung, um nach der Realschule auf ein Aufbaugymnasium zu kommen. Dort lernte sie 1963 Martin Klaemmt kennen, der wie sie die 11. Klasse besuchte. Eine Liebe begann, die beide ihr ganzes Leben lang verband. Nach dem Abitur schrieb sie sich an der Pädagogischen Fachhochschule in Wuppertal-Elberfeld ein und legte dort das Lehrerinnenexamen ab mit dem Schwerpunktfach Religion. 1970 heirateten Anne und Martin und bezogen eine eigene Wohnung in Elberfeld. Während Martin noch mit seinem Studium beschäftigt war, sorgte Anne als Lehrerin an der Hauptschule Simonsstraße in Elberfeld füür das finanzielle Auskommen des jungen Ehepaares – in damaligen Zeiten ein recht revolutionäres Eheleben. An einer Hauptschule zu unterrichten, das war für Anne eine Herzenssache. Sie wollte gerade Kinder und Jugendliche fördern und unterstützen, die es oft aufgrund ihrer manchmal sehr bildungsfernen Herkunftsfamilien schwer hatten, einen eigenen, guten Weg in ihr berufliches Leben zu finden. Oft hat sie mir auch erzählt, wie wohl sie sich in dieser Schule gefühlt hat, wie kollegial und freundschaftlich der Umgang im Kollegium gewesen war. Mehr als 3 Jahrzehnte ihrer Berufstätigkeit verbrachte sie an dieser Hauptschule, bis diese in der ersten Hälfte des 21.Jahrhunderts geschlossen wurde. Dem Schulleiter folgte sie zusammen mit einer Kollegin an die Hauptschule an der Kruppstraße – ebenfalls in Wuppertal – und leitete und unterrichtete dort mit dieser im Team noch ein paar Jahre gemeinsam eine Klasse, eine neue, interessante Erfahrung auf dem letzten Abschnitt ihres Berufslebens. Viele Kontakte zu ehemaligen Kolleginnen und Kollegen, aber auch zu ehemaligen Schülerinnen und Schülern haben sich noch viele Jahre nach ihrer Pensionierung 2013 erhalten.

Anne war Lehrerin aus Berufung und mit Leib und Seele dabei. Aber sie war noch viel mehr: sie war liebevolle Ehefrau und Mutter, verlässliche Schwester und Tante, gute Nachbarin und Freundin, engagiertes Gemeindeglied und leidenschaftliche Chorsängerin. Das alles an einem besonderen Ort: in Kaiserswerth, genauer: auf der Kreuzbergstraße 45. Martin Klaemmt war nämlich beruflich 1973 im Diakoniewerk Kaiserswerth in der öffentlichkeitsarbeit gelandet. Die Fahrerei Tag für Tag von Wuppertal nach Kaiserswerth – für ihn jedes Mal ein Angang. Als er 1974 eher beiläufig zu Hause erzählte, dass da in Kaiserswerth ein Mitarbeiterhaus gebaut würde, war es Anne, die ihn ermunterte, sich doch um eine Wohnung zu bewerben. Dann bräuchte er nicht mehr zu pendeln; ihr würde die Fahrerei nichts ausmachen. 1975 erfolgte der Umzug und bald nach dem Einzug wurde im Februar 1976 ein Kinderzimmer gebraucht – für Thomas.

Es folgten nicht nur familiär schöne Jahre – mit den jährlichen Urlaubsreisen nach Österreich an den Wolfgangsee oder den Aachensee und Sylvester nach Texel – mit Freunden und/oder Familienangehörigen. Anne gehörte nun mit zur Kaiserswerther Familie, die Basis bildete die Nachbarschaft, die weiteren Beziehungsfelder waren die Schwesternschaft und die Anstaltsgemeinde. Neben ihrem Beruf und ihren familiären Verpflichtungen, zu denen auch die Betreuung ihrer Nichte Steffi gehörte, entdeckte Anne das Singen in der Kaiserswerther Kantorei für sich, eine Leidenschaft und Freude, die sie bis zuletzt nicht mehr verlassen hat. Das Singen war für sie eine Kraftquelle – sei es in der Kaiserswerther Kantorei, der Kantorei Kaiserswerth oder der Schola; und die jeweils erlebte Gemeinschaft tat einfach gut. Über 3 Jahrzehnte gestaltete sie als Lektorin die Gottesdienste in der Mutterhauskirche mit, bis es ihr aufgrund ihrer Bewegungseinschränkung nicht mehr möglich war, die Stufen zum Ambo zu erklimmen. Aktiv war sie ebenfalls als Presbyterin, zuerst in der Anstaltskirchengemeinde und dann in der fusionierten Kaiserswerther Kirchengemeinde; in ihrer zurückhaltend-freundlichen Art war sie immer auf Klarheit und Ausgleich bedacht. Als sie 2013 in den Ruhestand ging, wurde sie Mitglied im Besuchsdienstkreis im Pfarrbezirk 3, eine Tätigkeit, die ihr viel Freude machte, bis sie auch von diesem Arbeitsfeld aus gesundheitlichen Gründen Abschied nahm.

Einschneidend für Anne Klaemmt war der so frühe Tod ihres geliebten Mannes im November 2014. Über ihren Verlust, ihre tiefe Traurigkeit konnte sie kaum sprechen. Die gemeindlichen Aktivitäten hielten sie buchstäblich im Leben und am Laufen, waren Ankerpunkte in ihrem Kalender wie die regelmäßigen Mittwochstreffen mit ihrer Schwester, der wöchentliche Skype-Termin mit ihrem Sohn. Absolute Höhepunkte im Jahr waren die Fahrten zu den Bregenzer Festspielen und der gemeinsame Texel-Urlaub zu Sylvester. In den letzten 2 Jahren wurde ihr Aktionsradius gesundheitlich bedingt immer kleiner. Seit im Oktober der Aufzug defekt war, konnte sie ihre Wohnung nicht mehr verlassen. Ihre Nachbarn haben sie so gut sie nur konnten versorgt, aber ihr fehlte der Kontakt mit den Menschen draußen, der wöchentliche Gang über den Wochenmarkt, der Besuch des Gottesdienstes und das Singen in der Schola. Irgendwie verließ sie in der Zeit die Lebensfreude, die sie sich immer noch bewahrt hatte, und ihre Lebenskräfte. Die Krankheit, die sie wohl schon jahrelang in sich getragen hatte, konnte sich nun mit Macht zeigen.

Ein jegliches hat seine Zeit und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde.
Pred. 3, 1

Der Prediger führt diesen Gedanken sachlich und berührend zugleich fort:

geboren werden und sterben,
einpflanzen und ausreißen, …

Pred. 3, 2

Wir haben den Text vorhin in der Lesung gehört. Ein Nachsinnen über alles das, was menschliches Leben ausmacht – im Guten wie im Schweren.

Anne hat Vieles davon in ihrem Leben hautnah erfahren – Zeiten voller Aufbruch, Zeiten des Umarmens, Zeiten von Lachen und Tanzen – und für diese Zeiten ist sie bis auf ihr Sterbelager hin zutiefst dankbar gewesen. Aber es gab eben auch die beschwerlichen Zeiten – Zeiten des Verlierens und Weinens, Zeiten des Schweigens und Abschiednehmens. In diesen Zeiten wusste sie sich immer von Gott gesehen und begleitet, mit ihren Tränen und ihrem Kummer aufgehoben in seiner Liebe. Darum konnte sie zuletzt auch Ja sagen zu ihrem Weg ins Sterben – mit offenen Augen und klarem Geist, gestärkt von Gottes Nähe. Und sie wird dem Prediger zugestimmt haben, wenn er seine Überlegungen über das Auf und Ab der Zeit mit folgenden Versen beschließt:

Ich habe erkannt: Alles, was Gott tut, ist unabänderlich für alle Zeiten. Der Mensch kann nichts hinzufügen und nichts davon wegnehmen. So hat es Gott eingerichtet, damit wir in Ehrfurcht zu ihm aufschauen.
Was in der Vergangenheit geschah und was in Zukunft geschehen wird, bei Gott ist alles Gegenwart. Und die Zeit, die uns entschwunden ist, ist bei ihm nicht vergangen.

Pred. 3, 14-15

Anne ist mit ihrem Leben nicht nur in unseren Erinnerungen in dieser Stunde gegenwärtig, sondern vor Gott ist sie bleibend gegenwärtig und lebendig mit allem, was sie gewesen ist. Und ich bin mir sicher, dass sie dort, wo sie jetzt ist, nicht allein ist, sondern in fröhlicher Runde mit ihrem Martin und all ihren Lieben, die ihr vorangegangen sind.

Amen.